STRIVE Redaktion

vor 7 Tagen

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Wie sieht es eigentlich mit Ihrer Fruchtbarkeit aus?

Wie sieht es eigentlich mit Ihrer Fruchtbarkeit aus?
Wie sieht es eigentlich mit Ihrer Fruchtbarkeit aus?

STRIVE+ Lia Grünhage hat Anfang 2020 zusammen mit ihren Co-Foundern Frederik Brandis und Fabian Blatt das Startup Avery Fertility gegründet. Frauen haben hier die Möglichkeit, ihre Fruchtbarkeit testen zu lassen. Zuvor war sie fünf Jahre bei dem Erotikshop Amorelie beschäftig, zuletzt als Managing Director.

Lia, was genau bietet ihr bei Avery Euren Kundinnen an?

Die ursprüngliche Idee war es, eine Social Freezing Beratung aufzubauen. Social Freezing bezeichnet das Einfrieren der Eizellen für eine spätere Befruchtung. Frauen, die sich mit dem Kinderkriegen noch Zeit lassen möchten, haben auf diesem Wege die Möglichkeit, ihre jungen und gesunden Eizellen zu konservieren. Wir haben aber schnell festgestellt, dass wir hier den zweiten vor dem ersten Schritt gehen. Die meisten Frauen, die sich mit dem Thema Kind auseinandersetzen, wollen zunächst wissen, wie es mit ihrer Fruchtbarkeit überhaupt bestellt ist. Bei einigen Frauen nimmt die Fruchtbarkeit schneller ab, bei anderen langsamer. Daher haben wir einen Fruchtbarkeitstest für zuhause entwickelt.

Wie sind Sie darauf gekommen?

Auf das Thema gestoßen wurde ich selbst erst vor ein paar Jahren durch eine Freundin. Als sie mit 34 Jahren absolut nicht schwanger wurde, wurde mir zum ersten Mal diese Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Entwicklung und unserer Ahnungslosigkeit in Sachen Fruchtbarkeit bewusst. In den 80er Jahren waren wir durchschnittlich noch Mitte zwanzig, als wir unser erstes Kind bekommen haben. Jetzt sind wir schon knapp über 30, Akademikerinnen sind im Schnitt noch älter. Es hat sich also gesellschaftlich wahnsinnig viel verändert, aber weder haben unsere Körper diese Memo bekommen, noch verhalten wir uns entsprechend. Wir haben nicht auf diese Entwicklung reagiert und gehen bislang immer noch mehrheitlich reaktiv mit der Thematik Fertilität um. Erst, wenn der Kinderwunsch akut ist, beschäftigen wir uns damit - allerdings kann es dann im Einzelfall zu spät sein. Genau dort setzen wir an.

Dieses reaktive Verhalten, von dem Sie sprechen, hängt also mit mangelndem Wissen zusammen?

Absolut. Im Bereich Verhütung werden wir - im Gegensatz zum Thema Fruchtbarkeit - ausgezeichnet aufgeklärt. Wir wissen alle sehr genau, wie wir auf keinen Fall schwanger werden, aber wie Fruchtbarkeit funktioniert, darüber ist das Wissen oftmals sehr begrenzt. Das ist auch wenig verwunderlich, denn diese Wissensvermittlung findet weder in den Schulen noch bei Gynäkolog:innen statt. Ich bin 31 und als ich mich selbst auf einer Kurve einzeichnen sollte, die die durchschnittliche Eizellreserve von Frauen zeigt, habe ich mich bei einer 13-Jährigen verortet. Ab 30 nimmt die Fruchtbarkeit schon merklich ab, dann ab 35 noch einmal deutlich schneller. Avery geht es darum, diese Aufklärungslücke zu schließen. Unsere Mission ist es, durch Information und Diskurse Frauen in jüngeren Jahren für das Thema zu sensibilisieren, damit sie sich aktiv damit auseinanderzusetzen.

Wie genau funktioniert Euer Fruchtbarkeitstest?

Durch einen Bluttest, den die Frauen online bestellen können. Zuhause müssen sie sich ein paar Tropfen Blut aus dem Finger entnehmen – das geht ganz einfach und man sieht dabei auch keine Nadel. Im Labor wird das Blut untersucht und die Hormonwerte bestimmt. Ein zentrales Hormon ist das Anti-Müller-Hormon (AMH). Es gibt Aufschluss darüber, wie groß oder klein die Eizellenreserve ist. Wir kommen mit 1-2 Mio. Eizellen zur Welt. Dieses Reservoir nimmt stetig ab. Schon in der Pubertät haben wir nur noch 300-400 Tausend im Körper. Andere Fruchtbarkeitshormone wie FSH oder LH, die den Zyklus mitregulieren, können ebenfalls bestimmt werden. Die Frauen können dann entscheiden, ob sie den Laborbericht von einer bzw. einem Reproduktionsmediziner:in erklärt und eingeordnet bekommen möchten oder nicht. Da dies so ein emotionales Thema ist, sind da die Bedürfnisse völlig unterschiedlich. Die Tests kosten zwischen 95 und 140 Euro, je nachdem, wie viele Hormone ausgewertet werden sollen. Sollten die Werte außerhalb des Normalbereichs liegen und Behandlungsbedarf bestehen, beraten wir die Frauen entsprechend.

Wie aussagekräftig sind diese Hormonwerte? Eine im Deutschen Ärzteblatt zitierte Studie weist darauf hin, dass das AMH als Indikator, wie wahrscheinlich eine spontane Schwangerschaft ist, fraglich sei. Die Eizellenreserve sage zum Beispiel nichts über die Qualität der Eizellen aus oder ob die Eileiter durchgängig sind.

Die Qualität der Eizellen lässt sich ohnehin nicht untersuchen. In diesem Zusammenhang ist das Alter der einzige Indikator. Im Kinderwunschzentrum sind die ersten Standarduntersuchungen das Blutbild und ein Ultraschall, der den AMH-Wert verbildlicht aber auch Verdickungen oder Zysten entdecken kann. Alle Untersuchungen, die dann folgen, basieren auf diesen ersten Diagnosen. Unser Test ist ein erster Schritt. Ein Hinweis im geschützten Raum.

Wie erreicht man Menschen, die noch gar nicht erreicht werden wollen? Die vielleicht noch zu jung sind oder sich noch nicht bereit fühlen für ein Kind?

Wir erreichen die Frauen zu großen Teilen über Social Media. Da fragen wir einfach: Wie geht es eigentlich Ihrer Fruchtbarkeit? Die Resonanz dabei ist erstaunlich hoch, auch in jüngeren Zielgruppen. Mit rund 20 Prozent sind die 25 bis 29 Jahre alten Frauen unsere zweitstärkste Altersgruppe.

Auf welcher Grundlage empfehlt ihr Kinderwunschkliniken und wie geht ihr mit Ärzt:innen um, die keine Frauen ohne männlichen Partner behandeln?

Wir werten Bewertungsplattformen und das Feedback unserer Kundinnen aus und haben uns viele der Kinderwunschzentren persönlich angeschaut und mit den Ärzt:innen dort gesprochen. Glücklicherweise haben wir bisher nicht die Erfahrung gemacht, dass Patientinnen abgewiesen werden. Wir stellen unseren Kundinnen immer mehrere Kinderwunschzentren zur Auswahl. Die Beratung hierfür ist momentan noch unentgeltlich. Unser Umsatztreiber ist der Fruchtbarkeitstest.

Wir wollen Frauen das Gefühl zu geben, dass Social Freezing eine legitime Entscheidung im Rahmen der Familienplanung ist.

Aber ihr bekommt Provision von den Kliniken?

Nein. Provisionen, um auf unserer Plattform gelistet zu werden, hatten wir zunächst im Zusammenhang mit der Social Freezing Beratung angedacht. Das steht aber aktuell nicht im Fokus. Wir finden es dennoch wichtig, dass Thema weiter zu treiben. Denn gerade in Deutschland ist Social Freezing absolut stigmatisiert. Dies zu verändern und Frauen das Gefühl zu geben, Social Freezing ist eine legitime Entscheidung im Rahmen der Familienplanung, darin sehen wir nach wie vor unsere Aufgabe.

Was ist das ideale Alter für Sozial Freezing?

Heute ist das durchschnittliche Alter in Deutschland 38 Jahre. Das ist in der Tat nicht mehr der ideale Zeitpunkt, liegt aber daran, dass wir uns häufig erst spät mit dem Thema auseinandersetzen. Das ideale Alter liegt zwischen Mitte 20 bis Anfang 30. Über 40 macht es aus medizinischer Sicht nicht mehr viel Sinn, liegt aber im Endeffekt im Ermessen der Ärzt:innen.

2014 gab es Kritik für Unternehmen wie Facebook oder Apple, als bekannt wurde, dass diese Unternehmen für das Einfrieren von Eizellen ihrer Mitarbeiterinnen bezahlen. Der Vorwurf: sie würden die Frauen ausbeuten. Wie sollten wir in Deutschland damit umgehen?

Wir sollten weniger kritisieren und eher darüber nachdenken, wie Unternehmen grundsätzlich ganzheitlich Familienplanung ermöglichen und unterstützen können. Das Alter sollte dabei keine entscheidende Rolle spielen. Das Geschlecht im Übrigen auch nicht. Ich finde, dass wir die Diskussion stark auf die Frau allein ausrichten, obwohl die Ursache für eine ungewollte Kinderlosigkeit zu 40 Prozent beim Mann liegt. Ich würde mir wünschen, dass der Fokus nicht nur auf den Frauen liegt, sondern auch auf den Männern.

Wie waren denn die Reaktionen deutscher Unternehmen zu dem Thema, mit denen Sie gesprochen haben?

Total vorsichtig. Die Unternehmen aus den USA mussten damals viel Kritik einstecken, das hat zu einer Angsthaltung der Unternehmen geführt, was natürlich kontraproduktiv ist. Lösen können wir dieses Stigma nur, wenn wir darüber reden, wenn es eine Offenheit und einen Diskurs dazu gibt. Die Angst vor einem gesellschaftlichen Verriss ist allerdings so groß, dass der offene Diskurs nicht mehr möglich ist. Die Grenzen unserer Sprache sind die Grenzen unserer Welt. Wenn wir aufhören zu reden, ist kein Fortschritt mehr möglich.

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