STRIVE Redaktion

16. Juli 2023

12 Min. Lesedauer

"Die Französin: UX Designerin unter den Europäerinnen!"

Interview | Die Deutschfranzösin Barbara von Wnuk-Lipinski arbeitete und lebte über zehn Jahre in Paris, bevor sie nach Berlin zurückkehrte. Sie unterstützt im Beirat des Vereins „Freunde des Institut Francais“ unter Vorsitz des französischen Botschafters die Kulturaktivitäten Frankreichs in Deutschland und betreibt mit ihrem gleichnamigen Instagram-Profil den reichweitenstärksten Account zu deutsch-französischen Themen. Im Interview verrät sie uns, was der größte Unterschied zwischen französischen und deutschen Frauen ist, wie sich die Länder im Netzwerken unterscheiden und was ihr größtes Fettnäpfchen bei einem Networking-Dinner war.

"Die Französin: UX Designerin unter den Europäerinnen!"
"Die Französin: UX Designerin unter den Europäerinnen!"

Liebe Barbara, was ist der größte Unterschied zwischen französischen und deutschen Frauen im Business?

In Frankreich ist die Chancenungleichheit zwischen Männern und Frauen geringer: Der Gender-Pay-Gap ist kleiner und schon 2020 erreichten die Unternehmen die Frauenquote von 40 Prozent für Vorstandspositionen und in Aufsichtsräten. Bis 2030 sollen sämtliche Führungspositionen in einem Unternehmen von Frauen besetzt sein – diesem Anspruch hinkt das deutsche System hinterher – seit der 68er-Zeit ist Frankreich, was die Gleichstellung der Frau angeht, in vielen Punkten weiter. Dazu gehören zum Beispiel bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Zudem gibt es in Frankreich, kulturell bedingt, ein viel größeres Denken in Netzwerken: Frauen pflegen ihre beruflichen Kontakte genauso „normal“ wie Männer. Aufgrund der sozialen und politischen Rahmenbedingungen kann die Französin diese Seite eher ausleben. Ihre Kompetenz, in „Personas“ und in persönlichen und beruflichen Bedürfnissen denken zu können, befähigt sie, sich auf dem politischen Unternehmensparkett erfolgreich durchzusetzen. Kurzum: Die Französin ist eine gesellschaftliche UX-Designerin.

"Erst mit meinem Umzug nach Paris habe ich gelernt, mein Adressbuch professionell zu „befüllen“ und zu nutzen. Hier geht es aber nicht darum, Kontakte nur dann zu nutzen, wenn sie mir tatsächlich weiterhelfen können."

Woher kommt diese Fähigkeit?

Mir scheint: Darin wird man in Frankreich schon von Kindesbeinen auf trainiert. Ein Beispiel: Über Schulen und Sportclubs hinaus organisieren sich die Kinder ab zehn Jahren in „Gesellschaftsnetzwerken“, sogenannte „Ralleys“. Das sind regelmäßige Events, in denen man in einer geschlossenen Gruppe mindestens einmal im Monat etwas miteinander unternimmt. Ziel dabei ist, dass die Kinder sich kennenlernen und als Erwachsene von früh gepflegten Kontakten profitieren. Dort wird das „Netzwerken“ und vor allem die Fähigkeit geschult, Menschen, und deren Absichten und Bedürfnisse besser zu verstehen und für gemeinsame Ziele nutzbar zu machen. Die schon im Jugendalter angeeignete Kompetenz „Win-Win-Situation“ zu identifizieren, ist ein Karrierevorteil. Wer kann mich bei meinem Ziel unterstützen, weil mein Erfolg am Ende direkt oder indirekt auch zum Erfolg des anderen beitragen kann? Erst mit meinem Umzug nach Paris habe ich gelernt, mein Adressbuch professionell zu „befüllen“ und zu nutzen. Hier geht es aber nicht darum, Kontakte nur dann zu nutzen, wenn sie mir tatsächlich weiterhelfen können. Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass es in Deutschland über Networking gibt. Basis dessen sollte immer das Interesse an spannenden Menschen sein – und das Vertrauen darauf, dass sich daraus womöglich auch andere Dinge ergeben.

Worin besteht der größte Unterscheid im Netzwerken zwischen Deutschland und Frankreich?

Das Netzwerken in Frankreich findet meist im privaten Raum statt. Man empfängt Zuhause. Während der Gast in Deutschland gewöhnlich etwas mitbringt, verzichtet die Französin in der Regel darauf. Grund: Mit der Teilnahme am Netzwerkevent verpflichtet sie sich zu einer Rückeinladung in den nächsten drei Monaten. Dies verdeutlicht auch den Wert von einem gepflegten „carnet d’adresse“, wobei das Adressbuch sich keineswegs auf einen Business-Kontext reduzieren lässt. Jeder Kontakt ist von Interesse, der neue Inspirationen ermöglicht, seine eigene „Bubble“ und den Horizont erweitert. Die Französin ist neugierig, andere Menschen und deren Wirkungskreise besser zu verstehen. Sie überlegt stetig, wie sie diese für sich nutzbar machen kann. Und natürlich: Netzwerke sind auch unverzichtbar dafür, das Privatleben unkomplizierter zu organisieren – von Freizeitaktivitäten über Ärzteempfehlungen bis hin zu Tipps und Ideen für einen „bon plan“, bei wem, in welchem Apartment und wann die Sonderverkäufe eines Modelabels stattfinden.

Gibt es im Zuge eines französischen Netzwerk-Dinners ein Ritual oder einen Ablauf?

Das gibt es und ich liebe es. Eine Abendgesellschaft unterteilt sich in drei Phasen. In den Apéro, das Essen und den Abschluss –Tee oder Kaffee. Diese Dramaturgie hilft, den „User Flow“ für beide Seiten so entspannt wie möglich zu halten.

Der Apéro nimmt dabei den größten Teil des Abends ein: im Wohnzimmer empfängt man die Gäste bei einem Glas Champagner, mit Nüssen und kleinen Häppchen. Ziel hierbei ist, einen entspannten Grad von Geselligkeit zu erreichen und schon eine erste Platzkombination zu „verproben"- wer spricht mit wem, wo müsste man zum weiteren Kennenlernen nochmal nachhelfen, und ähnliches. Die dabei analysierten Bedürfnisse werden dann beim Abendessen zu Tisch umgesetzt. Neu-Platzierungen werden vorgenommen und Plaudertaschen in der Küche durch Hilfstätigkeiten erst einmal aus dem Verkehr gezogen.

Nach dem Abendessen kehrt man ins Wohnzimmer zu Kaffee oder Tee zurück. Spätestens dann weiß jeder, dass sich die Abendgesellschaft ihrem Ende zuneigt und verabschiedet sich in den nächsten 30 Minuten. Dies ist für beide Seiten eine große Erleichterung: Die Hausherrin kann höflich lenken, wie lange sie gewillt ist, zu empfangen und den Gästen erspart es die Frage danach, wann der „richtige“ Zeitpunkt zum Gehen ist. Bei solchen Anlässen verliere ich meinen deutschen Pragmatismus nicht: Dann serviere ich einen „Gute-Nacht“-Tee, sodass sich jeder durch den Geruch an sein Bett erinnert fühlt.

Gibt es Dos und Don‘ts bei einem solchen Dinner?

Dos und Don‘ts sind immer relativ. Ich kenne unterschiedliche Regeln wie zum Beispiel, der Gastgeberin des Abends keine Blumen mitzubringen, weil man ihr nicht zumuten möchte, in den verschlungenen Ecken des Hauses nach einer passenden Vase suchen zu müssen, während sie sich eigentlich lieber um die Gäste kümmern würde. Sollte man trotzdem Blumen schenken wollen, sendet man tagsüber einen Strauß, damit die Gastgeberin diesen entsprechend drapieren kann. Die Flasche Wein als Mitbringsel ist genauso ungern gesehen (übrigens auch bei den Männern): Im Regelfall reicht eine Flasche auch nicht für den kompletten Tisch, sodass diese Geste als Verlegenheit interpretiert wird. Ein gutes Geschenk ist ein Erlebnis, zum Beispiel eine Schachtel Pralinen von einem noch nahezu unbekannten Chocolatier, der gerade neu eröffnet hat.

"Die Gastfreundschaft meiner Freundin habe ich strapaziert, indem ich – typisch deutsch – pünktlich zur Einladung erschienen bin."

In welches Fettnäpfchen bist Du dabei getreten? Wie ist es Dir bei Deinem ersten Netzwerkabend ergangen?

Die Gastfreundschaft meiner Freundin habe ich strapaziert, indem ich – typisch deutsch – pünktlich zur Einladung erschienen bin. Dies kann ich wirklich nicht empfehlen. Die Französin kommt mindestens 15 Minuten zu spät, ist aber in der Regel nach 30 Minuten da – aus Respekt vor möglichen Unwägbarkeiten und Herausforderungen bei der Organisation und der Realisierung des Events. Wer von uns ist nicht „Last-Minute“ noch einmal zum Supermarkt gehuscht, weil trotz aller Vorbereitungen doch noch eine Kleinigkeit fehlte? Oder musste noch mal ungeplant bei den Mathehausaufgaben helfen?

Ist die Französin weniger gestresst als die deutsche Frau?

Nein, vielleicht ist die Französin geübter darin, es zu kaschieren. Die Etikette und tradierten Abläufe ermöglichen ihr einen reibungslosen und entspannten Ablauf des Abends, bei dem sie sich ganz auf die Anwesenden und die Konversation konzertieren kann. Dies gibt Struktur und erleichtert die Situation für alle Beteiligten. Übrigens: In französischen Küchen wird viel weniger aufwendig gekocht als man denkt. Für die Kinder gibt es öfter Nudeln mit Tomatensauce, als man denkt.

Treten französische Frauen im Business anders auf als deutsche Frauen?

Die französische Frau unterstreicht inhaltliche Kompetenz sehr selbstverständlich mit ihrem Auftreten. Sie hat einen natürlichen Instinkt für Eleganz und Stil. Das strahlt Ruhe und Selbstsicherheit aus. Sie weiß, was ihr steht und entscheidet deshalb nicht nach einer Marke. Wenn die EZB-Chefin Christine Lagarde im einfachen Supermarkt „Monoprix“ in der Rue de Passy ihre Blusen und Strumpfhosen einkauft, ist dies Ausdruck dieses Bewusstseins. Sie ist eine top-gekleidete und erfolgreiche Business-Frau: Stil ist eine Lebenseinstellung und keine Frage des Preises. Und ja, es gibt sie, die zehn Outfits mit einer Handvoll unterschiedlichen Kleidungsstücken, die in Simplicité einen überzeugenden Auftritt garantieren. Mit bunten Handyketten und „lustigen“ Socken oder wie „Emily in Paris“ in schreienden Outfits wird beruflich niemand ernst genommen, weder in Deutschland noch in Frankreich.

"Regeln, Codes und Etikette sollten uns das Miteinander erleichtern, aber ganz sicher ist es wichtig, dass wir Frauen untereinander gnädiger und emphatischer sein sollten. Jede von uns gibt ihr Bestes, in Deutschland wie in Frankreich."

Die elegante Französin trägt drei, vier schlichte Farbtöne und die „Parisienne“ als farblichen Akzent noch den roten Lippenstift dazu. Die Französin lässt sich weder im Privatleben noch im Job unterbuttern. Die französische Geschichte ist voll von Frauen, die gegen Unterdrückung und Autorität kämpfen und natürlich inspiriert dies auch die heutigen Generationen. Mein Umfeld in Paris war geprägt von starken Frauen, die sich in vielfältiger Form von der Meinung anderer unabhängig gemacht machen. Dies gilt sowohl für ihre Berufswahl als auch ihr Privatleben. Man denke nur an Brigitte Macron, die sich für einen weitaus Jüngeren vom ersten Mann hat scheiden lassen, obwohl sie gemeinsam drei Kindern haben. Teil der Wahrheit ist auch, dass die französische Gesellschaft grundsätzlich weniger Drang hat, die Art und Weise, wie andere leben, zu beurteilen. Bei allen Regeln und Etikette herrscht dort die Überzeugung, dass jeder nach seiner Façon glücklich werden soll. Davon können wir uns in Deutschland eine Scheibe abschneiden. Nahezu jeder Schritt einer „WorkingMom“ wird ungefragt kritisch begleitet: Es gibt hier unzählige Beispiele: Eine französische Vorständin in Deutschland erzählte mir die Geschichte, dass sie kritisch angeschaut worden sei und man ihr das Gefühl gegeben habe, sie würde ihr Kind nicht ausreichend lieben, da ihr Geburtstagskuchen fürs Kind nicht selbst gebacken war, sondern gekauft. Regeln, Codes und Etikette sollten uns das Miteinander erleichtern, aber ganz sicher ist es wichtig, dass wir Frauen untereinander gnädiger und emphatischer sein sollten.

Jede von uns gibt ihr Bestes, in Deutschland wie in Frankreich.

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Zur Person

Die Deutschfranzösin Barbara von Wnuk-Lipinski arbeitete und lebte über zehn Jahre mit ihren vier Kindern in Paris, bevor sie im Jahr 2020 nach Berlin zurückkehrte. Sie unterstützt im Beirat des Vereins „Freunde des Institut Francais“ unter Vorsitz des französischen Botschafters die Kulturaktivitäten Frankreichs in Deutschland und macht sich für die französische Kultur und ein modernes Frankreichbild stark. Mit ihrem gleichnamigen Instagram-Profil betreibt sie den reichweitenstärksten Account zu deutsch-französischen Themen. In ihrer Freizeit engagiert sie sich im Bereich „Data Literacy“ an Schulen, in dem sie durch Schulungen ganz konkret Schüler auf ihre unlöschbaren Spuren im Internet aufmerksam macht. Von 2002 bis 2006 war sie im Bundesvorstand der CDU, mit 26 Jahren damals als bis dato jüngste Frau. Sie war „Member of Management Board“ beim Cyber Innovation Hub der Bundeswehr und wechselte Anfang des Jahres zu dessen Muttergesellschaft, einem bundeseigenen IT-Unternehmen. Dort treibt sie die Themen „Culture, Change & Communications“ voran.

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