Nun, 233 Jahre später, sind die gesellschaftspolitischen Ziele der Aufklärung – persönliche Handlungsfreiheit, Bildung, Bürgerrechte, allgemeine Menschenrechte und das Gemeinwohl als Staatspflicht – bei uns längst nicht mehr Gegenstand von Diskussionen. Und da wundert es mich dann doch, dass die Diskussion um einen geschlechtersensiblen Umgang mit Sprache so häufig um die Frage des „Ob“ kreist.
Sprache ist ein mächtiges Werkzeug. Sie drückt aus, wie wir die Welt sehen – sie beeinflusst unser Denken und damit unser Handeln. Ein gleichberechtigter und diskriminierungsfreier Umgang miteinander beginnt daher mit einem sensiblen Umgang mit Sprache. Oder anders formuliert:
Sprache, die nicht geschlechtersensibel eingesetzt wird, diskriminiert
Die Beispiele sind hinlänglich bekannt: Männliche Formen, z.B. bei Berufstiteln (Geschäftsführer, Arzt, Pilot, Briefträger, Experte, ...) lösen bei Zuhörer:innen automatisch männliche Konnotationen aus und führen zu einer faktischen Benachteiligung von Frauen. Sie fühlen sich durch diese Begriffe nicht in gleicher Weise angesprochen. Sagen wir also statt „Chef“ oder „Putzfrau“ künftig „Führungs- und Reinigungskraft“, so erkennen wir automatisch, wie facettenreich die jeweilige Berufsgruppe sein kann und schließen Menschen aller geschlechtlichen Identitäten ein.
Keine Frage des OB - mit kreativer Lust auf's WIE!
Die optisch auffälligste Form geschlechtersensibler Sprache ist die Nutzung eines Sonderzeichens, wie beispielsweise des Doppelpunktes oder des Sternchens. Diese – von manchen (noch) als störend empfundene – Möglichkeit, geschlechterumfassende Wörter zu schaffen, ist nur eine Variante.
Hier hat das Sonderzeichen die Funktion, die männliche und die weibliche Form abzubilden sowie durch das Zeichen in der Mitte alle weiteren geschlechtlichen Identitäten einzubeziehen. Beispiele sind Leser:in oder Mitarbeiter:in. Gesprochen werden diese Wörter mit einer kurzen Pause an der Stelle des Zeichens. Diese Pause wird (stimmloser) glottaler Plosiv oder Glottalstop genannt und ist uns allen aus Begriffen wie Theater, Hebamme, Spiegelei, etc. geläufig.
Ganz viel Raum für kreativen Umgang mit Sprache bieten geschlechterneutrale Formulierungen. Die Entwicklung, die hier zu sehen ist, ist beeindruckend. Wörter wie „Mitarbeitende“ haben es in kurzer Zeit in den Wortschatz unserer Organisation geschafft und werden inzwischen völlig selbstverständlich genutzt. Ob geschlechterneutrale Substantive (Elternteil statt Mutter/Vater), der Gebrauch von Ableitungen (Führungskraft statt Chef:in), die Nutzung von Pluralformen (die Studierenden) oder Umschreibungen (Die betroffene Person statt Der Betroffene) – wo ein Wille, da eine Formulierung. Wir alle können gemeinsam daran mitwirken, Sprache zu gestalten.
Eine Frage der Einstellung - nicht der Komplexität.
Zugegeben: Nur weil ich finde, dass eine Formulierung verständlich klingt, bedeutet das noch lange nicht, dass sie beispielsweise in einem Vertragsentwurf so Eingang finden sollte. Und natürlich fällt mir auch nicht immer eine gute Formulierung ein. Inzwischen gibt es jedoch zahlreiche Websites, wie www.genderleicht.de oder https://geschicktgendern.de, die Hilfe bieten. Und so einen bedeutenden Beitrag zum Austausch über und der Etablierung von Formulierungen leisten.
Für unsere Organisation haben wir einen Leitfaden für den Umgang mit geschlechtersensibler Sprache verfasst. Schon längst wurde in unserer Unternehmensgruppe darauf geachtet, geschlechtersensibel zu kommunizieren. Jedoch fehlte uns allen bei diesem noch recht neuen Thema eine gemeinsame Grundlage. Diese Lücke füllen wir mit Tipps, Beispielen und Erklärungen auch für Anreden in mündlicher und geschriebener Form, für E-Mail-Kommunikation und Stellenausschreibungen.
Anders als ein Gender-Benimm-Knigge soll dieser Leitfaden eine Einladung zum kreativen Umgang mit Sprache sein. Gerade wir Menschen in der Kommunikations- und Medienbranche haben aus meiner Sicht eine zentrale Rolle: Wir können mit Kreativität lesenswerte, verständliche, diskriminierungsfreie und inklusive Wörter und Formulierungen finden. Wir können Anregungen und Inspirationen liefern, die jede:r entsprechend der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Sprachgebrauchs nutzen und weiterentwickeln kann.
Übrigens: Mein persönlicher Lieblingstipp lautet „Frauen sprechen von sich in der weiblichen Form“. Klingt logisch? Na dann, los!
Und was kommt dann?
Zum guten Umgang miteinander gehört auch, dass Informationen allen zugänglich sind. Also auch Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen. Technische Entwicklungen und Verbesserungen sowie der konsequente Einsatz der bestehenden Möglichkeiten – beispielsweise barrierefreier Zugang zu Websites oder die Programmierung von Spracherkennungssoftware, die Sonderzeichen als glottaler Plosiv erkennen und ausspielen – müssen weiter gehen und verstärkt werden. Wir sind am Beginn eines neuen Kapitels inklusiver, diskriminierungsfreier Sprache. Ein Zeichen für einen guten Umgang mit Menschen – im Sinne von Adolph Freiherr Knigge.
Über die Autorin:
Sonja Schaub ist Group Director Corporate Communications und Sustainability bei der Hirschen Group – einer der größten inhabergeführten Agenturgruppen der DACH-Region. Immer noch fasziniert von der Wirkungskraft von Kommunikation – im Guten wie im Schlechten - liegt ihr ein sensibler und achtsamer Umgang mit Sprache sehr am Herzen.