top of page

Wie wird man Aufsichtsrätin?

STRIVE+ | Für Frauen standen die Chancen noch nie so gut wie heute, in einen Aufsichtsrat einzuziehen. Die Posten sind mit hohem Prestige und einer attraktiven Vergütung verbunden – aber auch mit Verantwortung und zeitlichem Aufwand. Wie viel verdient man, um welche Aufgaben dreht es sich und: Wie wird man eigentlich Aufsichtsrätin?



Headhunterin Stephanie Schorp beobachtet, dass der Run von Frauen auf die Aufsichtsräte aktuell groß ist. Der Haken: Bewerben kann man sich nicht, man wird gefunden. Foto: Sung-Hee Seewald photography

Hatten Sie auch einen in Ihrer Klasse? Oder zumindest als Kommilitonen an der Uni? Thomas. Immer wieder Thomas. In deutschen Aufsichtsräten ist er der am häufigsten vertretene Vorname. Und weil sich Gleich und Gleich gern gesellt, holte in der Vergangenheit ein Thomas gleich den nächsten Thomas in den Aufsichtsrat – der sogenannte Thomas-Kreislauf kam in Gang.


Das musste unterbrochen werden. Im Mai 2015 kam deshalb die Frauenquote. Von nun an sollten 30 Prozent aller Menschen, die in Kontrollgremien börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen sitzen, weiblich sein.


„In meinen Anfängen war die Zusammensetzung schon interessant. Meist glich sie einem OldBoys-Network“, erinnert sich Elke Eller (60). Die Volkswirtschaftlerin ging 1994 als Beschäftigte der IG Metall in den Aufsichtsrat von Opel, später zu VW und ThyssenKrupp Steel. Von Diversität in Bezug auf Geschlecht, Alter, Ausbildung sowie kulturellen Background konnte damals keine Rede sein.


Neben den von der Hauptversammlung gewählten Vertreter:innen der Aktionär:innen sitzen in den Kontrollorganen je nach Größe und Branche des Unternehmens meist auch Vertreter:innen der Arbeitnehmenden. Eller trat im Lauf der Zeit schon für beide Seiten an, oftmals als erste Frau. Knapp acht Jahre nach Einführung der Quote lässt sich heute eine positive Entwicklung beim Geschlechterverhältnis beobachten. Lag der Frauenanteil 2015 bei den betroffenen Unternehmen noch bei 21,3 Prozent, ist er laut dem Women-on-Board-Index von Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) im vergangenen Jahr auf 33,5 Prozent gestiegen.


Die Annahme, dass in jedem deutschen Aufsichtsrat jedes dritte Mitglied weiblich sei, ist allerdings falsch. Während Firmen wie Zalando, Deutsche Telekom oder Infineon die Parität erreicht haben, gibt es in den Kontrollgremien von Sixt, Varta oder Dermapharm keine einzige Frau. Die verbindliche Regelung betrifft nämlich nur rund 100 Unternehmen. Wird ein Posten nachbesetzt, wird auch nur dort das Gesetz entsprechend umgesetzt.


Ein Aufsichtsrat bestellt und entlässt die Mitglieder des Vorstands, überwacht und berät bei der Leitung des Unternehmens und ist in grundlegende Entscheidungen einzubinden. Er ist zwar nicht am operativen Geschäft beteiligt, die Fäden hält er dennoch in der Hand. Im Sommer letzten Jahres bekam VW-Chef Herbert Diess (64) diese Macht zu spüren. Der Aufsichtsrat hatte nach einer Reihe von Fehlern in einer außerordentlichen Sitzung die Absetzung des Vorstandsvorsitzenden beschlossen.


Bis zu fünf Aufsichtsratsmandate darf eine Person laut Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodex, eines Regelwerks mit Empfehlungen und Anregungen für börsennotierte Unternehmen, innehaben. Neben vier bis sechs festen Sitzungen im Jahr gibt es zudem Meetings von Ausschüssen und eine eigenverantwortliche Pflicht zur Aus- und Fortbildung.


Die heute 37-jährige Christina Reuter trat ihren Posten bei Kion 2016 als jüngste Aufsichtsrätin Deutschlands an. Foto: Dirk Bruniecki

Christina Reuter (37), Head of Digitalization for Operations bei Airbus, trat 2016 ihren Posten beim milliardenschweren Konzern Kion – einem der weltweit führenden Anbieter für Gabelstapler und Lagertechnik – als jüngste Aufsichtsrätin Deutschlands an. Vor jeder Sitzung wird sie mit mehreren Hundert Seiten Informationen versorgt. Darin geht es um die aktuelle Geschäftslage, strategische Themen, Fortschritte verschiedener Initiativen, Budgetierungen und Ziele. „Die Sorgfaltspflicht bei der Vorbereitung versteht sich von selbst. In Kombination mit meinem Job bei Airbus ist das vom Zeitmanagement her schon ambitioniert. Mehr als zwei Mandate zusätzlich zum festen Job anzunehmen, halte ich für sportlich“, sagt Reuter.


Bewerbung? Fehlanzeige. Man wird gefunden

Aufsichtsratsmandate sind beliebt. Mit den Posten geht nicht nur Prestige, sondern auch gutes Geld einher. Stephanie Schorp (50), deren Personalberatungsfirma Comites Kandidat:innen für die Top-Posten in Wirtschaft und Wissenschaft scoutet und auch regelmäßig Aufsichtsratsmandate für namhafte DAX-Unternehmen und Mittelständler besetzt, sieht einen Trend.


„Immer mehr Frauen wollen unbedingt Aufsichtsrätinnen werden. Aber auf diese Stellen bewirbt man sich nicht, man wird gefunden“, sagt die Psychologin und renommierte Headhunterin.


Viele Aufsichtsräte und ihre Nominierungsausschüsse bemühen sich inzwischen akribisch um eine diverse Zusammensetzung – nicht nur der Quote und des Zeitgeists wegen. Sondern auch, weil breit aufgestellte Teams nachweislich kreativer und wirtschaftlicher sind. Christina Reuter vermutet, dass ihr eine gewisse Sichtbarkeit geholfen habe. Bevor sie in den Aufsichtsrat berufen wurde, hatte sie als Abteilungsleiterin am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen mit dem Aufbau eines bundesweiten Kompetenzzentrums zum Thema Industrie 4.0 viel Presseaufmerksamkeit erhalten. Ihre Aktivitäten in diversen Forschungs- und Beratungsprojekten sowie der Schulterschluss mit Vertreter:innen aus Politik, Industrie und Wissenschaft brachten sie auf den Plan eines Headhunters. „Auf das erste Gespräch habe ich mich sehr gut vorbereitet, war aber am Ende des Tages authentisch und durch meine Expertise die richtige Person. Ich glaube, die Kombination aus fachlichem und persönlichem Match ist entscheidend“, so Reuter.



 

AUFSICHTSRÄTE IN DEUTSCHLAND


Die Initiative Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) untersuchte 160 im DAX, MDAX und SDAX sowie die 23 paritätisch mitbestimmten, im regulierten Markt notierten Unternehmen und kam zu folgenden Ergebnissen:


136 der 183 Unternehmen erreichen die 30-Prozent-Quote, der Frauenanteil liegt bei 33,5 %.


95 der 101 der Quote unterliegenden Unternehmen erreichen die 30-Prozent-Quote, Durchschnitt: 35,6 %.


50 % der 82 nicht der Quote unterliegenden Unternehmen erreichen die 30-Prozent-Quote, der Durchschnitt liegt bei 27,1 %.


 

Wie viel verdient man als Aufsichtsrätin?

Während Gewerkschaftsvertreter:innen 90 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Aufsichtsrat an Stiftungen abgeben müssen, ist der Arbeitseinsatz für die anderen Mitglieder lukrativer. Sie erhalten „eine Vergütung, die in einem angemessenen Verhältnis zu ihren Aufgaben und der Lage der Gesellschaft steht“, wie es im Kodex heißt. Die „Aufsichtsratsstudie 2021“ der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz nennt Zahlen: Die durchschnittliche Vergütung für ein Aufsichtsratsmitglied aus dem damaligen DAX-30 lag bei 112.050 Euro, Vorsitzende erhielten im Schnitt 375.915 Euro. Faustregel: je größer das Unternehmen oder der Konzern und damit je komplexer die Herausforderungen, desto höher das Honorar. Am besten zahlen die Deutsche Bank, BMW, Daimler, Siemens und Volkswagen. Ein Beispiel: Der im letzten Jahr als Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank ausgeschiedene Paul Achleitner (66) verdiente mit seiner Tätigkeit über 800.000 Euro jährlich, wie aus der Studie der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hervorgeht. Deutlich bescheidener geht es bei kleineren Familienunternehmen zu. Aber auch dort lassen sich noch 25.000 Euro zum eigentlichen Gehalt hinzuverdienen. Die meisten Aufsichtsrät:innen führen ihre Tätigkeit neben einem festen Hauptjob aus.


Elke Eller ist durch 30 Jahre Gremiumserfahrung routiniert. Sie saß im Aufsichtsrat von Opel, VW und Thyssen-Krupp Steel. Foto: Christian Wyrwa

Sind die Zeiten des Buddy-Business vorbei? Personalberaterin Stephanie Schorp ist zögerlich optimistisch. In vielen Unternehmen spule sich bei Neu- und Nachbesetzungen noch immer der Thomas-Kreislauf ab. Headhunter:innen werden in geschätzt nur 20 bis 30 Prozent eingeschaltet. Dabei empfiehlt der Kodex das Erstellen eines Kompetenzprofils für jedes Gremium. Die Mitglieder sollen analysieren, welche Kompetenzen im Aufsichtsrat bereits vorhanden sind – und welche in Bezug auf Diversität, digitale Transformation, Nachhaltigkeit und zukünftige Herausforderungen fehlen. In Zukunft wird vor allem Know-how in den Bereichen Organisationsentwicklung und Tech gefragt sein. „Neben einer zwingenden fachlichen und/oder funktionalen Expertise wie Financials, HR oder Legal wird die globale Verantwortung der Aufsichtsräte zukünftig deutlich zunehmen. Die Einschätzung geopolitischer Risiken und die Frage, wie Arbeitgeber attraktiv bleiben, werden an Bedeutung gewinnen“, schätzt Schorp.


Elke Eller ist durch mehr als 30 Jahre Gremiumserfahrung routiniert. Vor zwei Jahren ist sie als Arbeitsdirektorin der TUI Group ausgeschieden und kann sich nun auf ihre anderen Mandate sowie ihre Professur für strategisches Personalmanagement an der Hochschule Worms konzentrieren.


Aufgrund der persönlichen Haftung bei Pflichtverletzungen, beispielsweise einer nicht ausreichend wahrgenommenen Kontrolle der Geschäftsführung, ist sie – wie wohl fast alle ihrer deutschen Kolleg:innen – versichert. Die sogenannte Directors-and-Officers-Versicherung funktioniert wie eine Haftpflichtversicherung für Manager:innen. Für den Haftungsfall müsste Elke Eller schuldhaft ihre Pflichten verletzen; den Druck hält sie aber aus. Sie meint: „Wer Hosenträger und Gürtel gleichzeitig braucht, darf sich nicht in die erste Reihe stellen. Wer dort ist, muss auch Verantwortung übernehmen.“


 


WIE WIRD MAN AUFSICHTSRÄTIN?


Wer als Fachfrau durch Vorträge, Presse oder Veröffentlichungen auf sich aufmerksam macht, gerät auf das Radar von Headhunter:innen und Aufsichtsrät:innen. Ein Wirtschaftsbackground ist üblich, aber nicht zwingend nötig. Auch Branchenfremde können sich mit der entsprechenden Expertise qualifizieren. Kurse zur „Zertifizierten Aufsichtsrätin“, beispielsweise von der Berliner School GRC, können auf den Posten vorbereiten.


Die Vergütung in den DAX-30-Unternehmen lag 2020 durchschnittlich bei 112.050 Euro für Mitglieder und 375.915 Euro für Vorsitzende. Bei MDAX-Unternehmen gab es im Schnitt 66.996 Euro für Mitglieder und 190.556 Euro für Vorsitzende.


Die Aufgaben des Aufsichtsrats: Er bestellt und entlässt Mitglieder des Vorstands und berät bei der Leitung des Unternehmens. Er prüft Schriften und Vermögensgegenstände. Der Aufsichtsrat beruft die Hauptversammlung ein und prüft Jahresabschlusssowie Lageberichte. Er vertritt die Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern – auch gerichtlich.


 

Drei weitere Aufsichtsrätinnen, die wir kennen sollten:


XIAOQUN CLEVER


Unternehmensberaterin Aufsichtsrätin bei der Infineon Technologies AG, dem Beratungsunternehmen Capgemini und beim Softwareunternhmen Amadeus IT Group. Expertise: Digitalisierung und IT.


ANN-KRISTIN ACHLEITNER


Professorin für BWL und Multiaufsichtsrätin Sie ist eine der einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft, sitzt u.a. im Aufsichtsrat von Linde und Münchener Rück.


MARIANNE HEISS


CEO der BBDO Group Germany Seit 2018 ist Heiss Mitglied im Aufsichtsrat der Volkswagen AG, Audi AG und Porsche SE. Sie ist Expertin für den Bereich Finance.

bottom of page