Anna-Lena Koopmann

vor 6 Tagen

13 Min. Lesedauer

Baby got Business

STRIVE + I Sie brachte das Influencer-Marketing nach Deutschland und verdiente ihr Geld mit Social Media, als die Branche noch in den Kinderschuhen steckte: Ann-Katrin Schmitz (31). Lange war sie die Frau im Hintergrund, die für andere die Strippen zog. Dann wurde sie mit ihrem Podcast berühmt. Heute ist sie eine der gefragtesten Expertinnen für die Creator Economy. Ein Gespräch über kaltes Wasser, schlaflose Nächte – und darüber, wie es ist, als Introvertierte auf der großen Bühne zu stehen.

Baby got Business

Foto: Henning Ross

Frau Schmitz, wenn man heute in Deutschland über InfluencerMarkting sprechen will – dann ruft man bei Ihnen an. Sie haben die Branche als Visionärin mit aufgebaut und geprägt, dabei echte Pionier:innenarbeit geleistet. Wann wussten Sie: DAS kann ich zum Beruf machen?

Farina Opoku, mit der ich während des Studiums den Beauty-, Fashion- und Lifestyle-Blog Novalanalove gegründet habe, hatte 2016 ihren ersten großen Influencer-Job in den USA auf dem Coachella-Festival, ich habe sie als ihre Managerin dorthin begleitet. Als wir nach dem Rückflug aus dem Flieger stiegen, hatte Farinas Chefin, wir hatten neben der Uni beide Nebenjobs, ihr eine Nachricht geschickt – und ihr gekündigt. Sie fand die neue Popularität ihrer Mitarbeiterin nicht gut. Farina schaute mich an und sagte: „Jetzt musst du auch deinen Job kündigen.“

… und das haben Sie dann auch gemacht. Woher nahmen Sie den Mut dazu?

Es war uns beiden klar, dass wir jetzt einmal ins kalte Wasser springen müssen, damit unser Baby groß werden kann. Manchmal muss man aus der sicheren Perspektive heraustreten. Wenn man etwas nur halb gar macht, kann sich nie das volle Potenzial entfalten.

Social Media war damals noch Neuland. Wie sahen die ersten Berührungen mit dem Thema aus? Als Farina von einem Praktikum aus den USA Instagram mitbrachte, veränderte das alles. Vorher kannte ich Facebook und diverse Blogsysteme, doch jetzt gab es eine Community, zu der auch Menschen gehörten, die man nicht persönlich kennt. Die fremden Personen folgen, weil sie deren Leben bewundern oder sie als Vorbilder sehen.

Das Business, das Sie 2014 dann gemeinsam gründeten, funktionierte über eine klare Aufteilung: Farina Opoku ist das Gesicht der Marke Novalanalove, Sie die Strategin und Managerin im Hintergrund. Haben Sie Ihre Rollen bewusst gewählt?

Absolut. Ich wollte selbst nie in der Öffentlichkeit stehen und kann damit bis heute nicht so gut umgehen. Ich war damals schon die schnipsende Streberin in der ersten Reihe. Farina dagegen hat sich schon im Studium lieber vor der Kamera bewegt. Diese Aufgabenteilung ist bis heute ein Erfolgsfaktor von Novalanalove.

Die Community von Novalanalove wuchs rasant, heute hat der Instagram-Account 1,7 Millionen Follower. Hat es Sie nie gestört, dass Sie anonym blieben – während Farina in der Öffentlichkeit für den Erfolg gefeiert wurde?

Nein, wirklich nie. Mit der Rollenverteilung waren wir immer glücklich: Farina steht in der Öffentlichkeit, ich bin die Person, die das Projekt strategisch im Hintergrund aufsetzt. Ich selbst stehe nicht gerne vor der Kamera und habe das auch nie angestrebt.

Wie hat sich Ihr Geschäftsmodell damals entwickelt? Womit haben Sie Geld verdient?

Das erste Geld haben wir über Affiliate-Marketing generiert, also einem prozentualen Anteil am Warenkorb eines Users, der auf Empfehlung von unserer Website einkauft. Das waren damals genau 12,34 Euro. Von Product-Placements, wie man sie heute kennt, waren wir noch Lichtjahre entfernt. Marken glaubten nicht an das „schnelllebige“ Medium Social Media. Ich musste die Marketing-Branche damals erst mal davon überzeugen. Später haben wir dann über diverse Plattformen verdient. Über die Jahre haben wir unser Geschäftsmodell angepasst und uns auf Instagram und das Erschaffen einer eigenen Marke fokussiert. Mittlerweile verdienen wir durch eigene Produkte unabhängig von Werbekunden Geld.

„Irgendwann habe ich realisiert, dass ich auch mein Wissen monetarisieren kann.“

Sie haben als junge Frau früh viel Geld verdient. Wie hat das Ihren Alltag beeinflusst?

Mein Leben hat sich komplett verändert. Ich hatte vorher drei Nebenjobs und ein privates Vollzeit-Studium, das ich finanzieren musste. Ergo: absolut kein Geld, bis wir unser Business gestartet haben. Ich habe nachts im Club an der Kasse gearbeitet und tagsüber auf Messen als Hostess. Bis dato hatte das alles nichts mit Selbstverwirklichung zu tun. Doch bereits 2017 hatten sich unsere Umsätze derart potenziert, dass ich nachts nicht mehr ruhig schlafen konnte, weil die Verantwortung enorm groß war. Bilanzen, Vorauszahlungen, Steuererklärungen, liquide bleiben …

Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe kein BWL studiert, meine Eltern sind keine Unternehmer:innen, ich habe mir also alles selbst beibringen müssen. Ich konnte dann aber auf einen Schlag meinen Studienkredit von 25.000 Euro zurückzahlen. Das hat so viel Druck rausgenommen und mich motiviert, weiterzumachen. Mittlerweile kann ich wieder ruhiger schlafen, gehe mit Geld aber weiterhin konservativ um. Ich trage da ja auch Verantwortung für meine Mitarbeiter:innen, nicht nur für mich.

„Sobald ich den Mund aufmache, zerfallen alle Schubladen, in die ich vorher gesteckt wurde.“

2017 haben Sie sich parallel zum gemeinsamen Business als Beraterin selbstständig gemacht. Wie kam es zu diesem Schritt?

Mir hat ein bisschen die Herausforderung gefehlt. Außerdem wollte ich meine Branche gerne aktiv weiter mitgestalten, professionalisieren, und das geht nur, wenn man sein Wissen teilt. Ich hatte von 2017 bis 2019 zusätzlich als Dozentin gearbeitet und bereits viel gelernt, wie man komplexe oder neue Themen leicht verständlich erklären kann. Diese Stelle habe ich dann aufgegeben, um Zeit für meine Neugründung „Baby got Business“ zu schaffen.

Sie waren wieder einmal sicher, auf ein Geschäftsmodell gestoßen zu sein …

Das hatte sich schon in der Anfangszeit bei Novalanalove abgezeichnet. Da musste ich Unternehmen noch erklären, wieso Influencer-Marketing gewinnbringend ist. Diese Beratungsarbeit und auch die meisten Speaker-Jobs auf B2B-Marketing-Veranstaltungen habe ich jahrelang umsonst gemacht, weil ich wollte, dass Kund:innen bei Novalanalove Werbung buchen. Irgendwann sagte jemand aus meinem Netzwerk zu mir: Du hast nun eine Stunde lang mit einem Kunden telefoniert. Für so eine Leistung nehmen Agenturen Geld. In dem Moment habe ich realisiert, dass ich auch mein Wissen monetarisieren kann, nicht nur Werbeplatzierungen.

Woher wussten Sie, wie viel Ihre Arbeit wert ist?

Wenn man ein Unternehmen aufbaut, ist es erst einmal wichtig, gewisse Kund:innen und Erfahrungen zu sammeln, um den Proof of Concept zu liefern. Bei mir waren das Workshops bei namhaften Unternehmen, Interviews in der Fachpresse, öffentliche Auftritte auf B2B-Konferenzen. Zu meinem Honorar habe ich mich viel mit meinem Netzwerk und Mentor:innen ausgetauscht und dann langsam meinen eigenen Wert begriffen. Bis heute kann ich aber besser für andere verhandeln als für mich. Aber das kann man lernen. Wer angemessen für sich verhandelt, bekommt Respekt und Anerkennung. Lustigerweise spielt auch das Alter eine Rolle, das wird nach wie vor mit Kompetenz gleichgesetzt.

Der Plan ging auf: Nach dem Launch des Podcasts „Baby got Business“ wurden Sie für Workshops, Auftritte und Speaker-Jobs gebucht …

Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Podcast so erfolgreich wird, und sicherlich die Kraft meines Netzwerks unterschätzt. Sowohl große Influencer als auch Marketingchef:innen haben ihn am ersten Tag geteilt, sodass er nach 24 Stunden auf Platz eins der deutschen Podcast-Charts war. Ich wusste, dass das Thema im Marketing eine immer größere Rolle spielt, doch ich war irritiert, dass es für so viele Menschen interessant ist, die beruflich nichts damit zu tun haben. Das beeindruckt mich bis heute und macht mich sehr stolz.

Konsequent, dass Sie das deutlich kommunizieren.

Viele Leute finden es beeindruckend, dass ich das Selbstbewusstsein habe, mich selbst als Expertin zu bezeichnen. Besonders unter Frauen ist genau das noch immer ungewöhnlich. Doch ich weiß mittlerweile einfach, welches Know-how ich habe.

Welches Ziel hatten Sie für die Selbstständigkeit?

Ich wollte die Social-Media- und Influencer-Marketing-Expertin Deutschlands werden. Mein Ziel war, dass, wenn in einem Raum über diese Themen gesprochen wird, mein Name fällt. Ich glaube, das habe ich geschafft.

Wie viel Geld setzen Sie als Geschäftsfrau mit Ihren Unternehmen um?

Mit Novalanalove setzten wir siebenstellige Summen im Jahr um. „Baby got Business“ ist noch wesentlich kleiner, hier fließen aktuell fast alle Einnahmen zurück in das Projekt. Nach wie vor wird Werbung besser bezahlt als Wissen, deswegen lässt sich ein Teil meines Geschäftsmodells auch nur begrenzt skalieren.

Können Sie das erklären?

Bisher habe ich Unternehmen und Personenmarken dabei geholfen, Social-Media-Strategien zu entwickeln. Diese Einzelberatung möchte ich zukünftig nicht mehr machen – weil das eben kein skalierbares Business ist. Meine Vision ist es, Wissensformate zu finden, die mehrere Menschen gleichzeitig konsumieren können. Ich möchte, dass „Baby got Business“ die Destination wird, um sich in Deutschland zum Thema Social Media und Influencer-Marketing zu informieren. Zudem wird im Oktober erstmals auch die „Baby got Business“-Konferenz in Hamburg stattfinden.

Heute stehen Sie selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit. Kürzlich traten Sie beim OMR Festival vor 7.500 Menschen auf. Wie geht es Ihnen damit?

Ich bin wie gesagt keine extrovertierte Frau, der das leichtfällt. Am wohlsten fühle ich mich noch immer mit meinem Podcast – weil man mich dabei nicht sieht. Dort geht es um das Gesagte und nicht um Ästhetik oder visuelle Anreize. Aber wenn Leute mir zuhören wollen und sich auf einer Wissensebene dafür interessieren, was ich zu sagen habe, dann stelle ich mich dafür auch auf eine Bühne oder vor eine Kamera.

Es gab auf Ihrer Website ein Foto, auf dem Sie eine Präsentation vor einer Gruppe älterer Männer halten. Werden Sie manchmal unterschätzt?

Sicher. Aber manchmal macht es Spaß, mit Kleidung zu kokettieren, ob ein rosa Hosenanzug oder hohe Schuhe bei einer Präsentation. Ich kann das, weil ich weiß: Sobald ich den Mund aufmache, fallen alle Schubladen, in die ich gesteckt wurde, auseinander.

6 Tipps von Ann-Kathrin Schmitz für mehr Social Media-Power:

1. Grundmotivation klären

Wieso wollen Sie über soziale Netzwerke bekannt werden? Wollen Sie damit Ihr Geld verdienen? Finden Sie Ihr Leben von Interesse für andere? Oder sind Sie Expert:in zu einem Thema?

2. Format entscheiden

Es gibt kaum Nischen, die noch nicht besetzt sind. Dennoch zeigt die jährliche Liste der zehn am stärksten gewachsenen Accounts: Meist sind es simple Formate wie etwa Koch-Videos, die lediglich einen neuen Twist haben. Wichtiger ist, dass Sie Ihrem Content ein solches Branding geben. Das kann man durch wiederkehrende Formate oder kreative Ideen bei der Umsetzung erreichen.

3. Inhalt definieren

Es gibt drei Bereiche, die Menschen in sozialen Netzwerken am häufigsten teilen: Unterhaltung, Information und Kommunikation. Ihre Inhalte sollten auf eine der beiden ersten Ebenen einzahlen. Bei Letzterem bieten Sie auf Ihrem Kanal ein Forum, um sich zu Themen auszutauschen.

4. Medium festlegen

Womit fühlen Sie sich als Presenter am wohlsten? Mit welchem Medium können Sie gut umgehen? Sind es Videos, Fotos oder ist es eher das gesprochene Wort, also ein Podcast?

5. Zielgruppe und Plattform finden

Wer sind die Personen, die Sie ansprechen wollen? Was machen sie beruflich, auf welchen Plattformen sind sie unterwegs, in welchem Format konsumieren sie Inhalte?

6. Reichweite aufbauen

TikTok ist aktuell der beste Weg, um schnell organisch Reichweite aufzubauen. Diese lässt dann durch geschicktes Cross Channeling (bestehende Formate auf anderen Kanälen umsetzen) andere Plattformen schneller wachsen. LinkedIn lohnt sich dabei vor allem für die B2B-Kommunikation.

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